Großbritanniens Premier Rishi Sunak
Großbritanniens Premier Rishi Sunak legte am Montag seine Pläne dar.
AFP/POOL/TOBY MELVILLE

Vor den letzten parlamentarischen Beratungen über das umstrittene Ruanda-Gesetz hat der britische Premier Rishi Sunak seine Entschlossenheit bekräftigt, in diesem Sommer mit den Abschiebungen nach Zentralafrika zu beginnen. "Wir stehen bereit, und kein ausländisches Gericht wird uns hindern", sagte der konservative Regierungschef am Montag in London. Spätestens im Juli sollen eigens gecharterte Flugzeuge Hunderte von Migranten ausfliegen.

Das sogenannte Notstandsgesetz durchläuft seit Dezember das Gesetzgebungsverfahren in Westminster. Es war nötig geworden, weil der Londoner Supreme Court die ursprüngliche Regierungsvorlage für gesetzwidrig erklärt hatte. Auch am neuen Gesetz hat das Oberhaus mehrfach Änderungswünsche geäußert, diese wurden vom konservativ dominierten Unterhaus stets abgelehnt. Ein ähnliches Pingpong-Spiel, womöglich bis tief in die Nacht hinein, stand am Montagabend auf der Agenda beider Kammern. Am Ausgang aber bestand kein Zweifel, weil das berufene Oberhaus traditionsgemäß dem gewählten Unterhaus nachgibt.

Erbe vom Vorgänger

Zur Debatte standen zuletzt noch zwei Wünsche der Lords. Zum einen sollten all jene, vor allem Afghanen, von der Deportation ausgeschlossen werden, die zuvor britische Hilfsorganisationen oder die Streitkräfte Seiner Majestät unterstützt hatten und deshalb in ihren Heimatländern verfolgt werden. Zum Anderen wünscht sich der frühere Höchstrichter James Hope eine Klausel, wonach Ruandas Status als "sicheres Drittland" regelmäßig überprüft werden soll.

Sunak hat den in vielen Ländern Westeuropas mit hohem Interesse verfolgten Ruanda-Plan von seinem gescheiterten Vorvorgänger Boris Johnson geerbt. Zehntausende von Flüchtlingen, die sich seit Beginn der Dekade in Schlauchbooten über den Ärmelkanal in Bewegung setzen und dabei Leib und Leben riskieren, wurden zu "illegalen" Ankömmlingen erklärt. Sie sollen umgehend in ein Flugzeug gesetzt und ohne Rückkehrmöglichkeit nach Ruanda abgeschoben werden. Dort erwartet sie ein rechtsförmiges Asylverfahren mit anschließender Ansiedlung vor Ort – oder die freiwillige Rückkehr ins Herkunftsland.

Ruanda als "sicherer Drittstaat"

So weit die Theorie. Weil das ursprüngliche Gesetz jede Möglichkeit einer Anhörung durch britische Beamte oder Richterinnen ausschloss, erhob der Supreme Court Einspruch. Nach der neuen Vorlage erklärt das Parlament Ruanda einseitig zu einem "sicheren Drittstaat" und bindet dadurch heimischen Gerichten die Hände. Den Betroffenen bleibt nur noch der Gang zum Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte EGMR in Straßburg. Einem weiteren Einwand der Höchstrichter entsprechend enthält das Gesetz zudem eine Klausel, wonach in nicht näher definierten "außergewöhnlichen Fällen" Ruanda die Asylbewerber doch nach Großbritannien zurückschicken könnte. Dadurch, glauben Kritiker des Vorhabens, gerate der doch eigentlich gewünschte Abschreckungseffekt ins Wanken.

Auch der EGMR – Sunak denunziert ihn wegen seines Sitzes in Straßburg gern als "fremdes" ("foreign") Gericht – werde ihn nicht an der Umsetzung des Vorhabens hindern, beteuerte der Premier. Um der EGMR-Rechtsprechung zu entgehen, müsste Großbritannien aus dem einst von London mitgegründeten Europarat austreten. Dies befürworten rund fünf dutzend Mitglieder vom harten rechten Flügel der konservativen Unterhausfraktion.

Sunaks Fokus auf das Asylthema ist vor allem deren Druck sowie der Propaganda von Nigel Farages Reformpartei geschuldet, basiert hingegen offenbar nicht unbedingt auf den Prioritäten der Bevölkerung. Der mit Einwanderungs- und Integrationsfragen befasste Thinktank British Future (BF) hat die Briten vor Monatsfrist eingehend befragen lassen. Dabei erklärten sich drei Viertel mit Lord Hopes Wunsch einverstanden, das Funktionieren des Vertragswerks und Ruandas Status regelmäßig überprüfen zu lassen. Fast zwei Drittel legten Wert darauf, dass ihr Land allen rechtlichen nationalen und internationalen Verpflichtungen nachkommt. "Wir haben ausdrücklich versucht, die Änderungsvorschläge der Lords in klarer Sprache auszudrücken", erläutert BF-Chef Sunder Katwala und fasst die Stimmung der Mehrheit zusammen: "Wer Ruanda zum sicheren Drittland erklären will, sollte überprüfen, ob das stimmt."

Dreistelliger Millionenbetrag

Das Vereinigte Königreich hat dem bei Menschenrechtlern umstrittenen Regime von Präsident Paul Kagame schon bisher einen dreistelligen Millionenbetrag zur Umsetzung der geplanten Asylpolitik überwiesen. Über fünf Jahre soll das 2022 abgeschlossene Migrations- und Entwicklungshilfeprojekt (MEDP) insgesamt 370 Millionen Pfund (428 Millionen Euro) kosten. Hinzu kommen Zahlungen pro tatsächlich nach Ruanda ausgeflogenen Menschen.

Der Opposition zufolge würden sich die Kosten je Asylbewerber auf bis zu 2,32 Millionen Euro belaufen. Allerdings geht Labours innenpolitische Sprecherin Yvette Cooper dabei von lediglich 300 Flugpassagieren aus. Hingegen beziffert das Innenministerium die Kosten mit je 150.000 Pfund (174.000 Euro). Die enorme Diskrepanz erklärt sich aus einem kürzlich dem "Telegraph" zugespielten, höchst optimistischen Planungspapier des notorisch schlecht organisierten Ressorts. Demzufolge würden binnen fünf Jahren 30.000 Flüchtlinge nach Ruanda überstellt, mit Kosten von etwa 4,5 Milliarden Pfund.

All dies bleibt Zukunftsmusik, nicht zuletzt weil die in allen Umfragen meilenweit in Führung liegende Labour-Party angekündigt hat, im Fall ihres Sieges bei der spätestens Ende des Jahres anstehenden Unterhauswahl den Vertrag mit Ruanda zu kündigen. Stattdessen will Cooper anhängige Verfahren rascher erledigen und abgelehnte Bewerber zügig abschieben. (Sebastian Borger aus London, 22.4.24)