Eine klare Mehrheit sprach sich für Abtreibung als Grundrecht aus.
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Frankreich: Die "Freiheit der Frauen" auf Verfassungsrang gehoben

Rückschritte können auch Fortschritte anstoßen. Als in den USA im Juni 2022 das Grundsatzurteil Roe v. Wade gekippt wurde, löste dies in Frankreich eine Debatte über eine nötige Sicherung des dortigen Rechts auf Abtreibung aus. Präsident Emmanuel Macron kündigte schließlich an, bis 2024 die "Freiheit der Frauen zu einem Schwangerschaftsabbruch unumkehrbar" machen zu wollen.

Kurz vor dem Internationalen Frauentag 2024 hat Frankreich tatsächlich als erstes Land weltweit die "Freiheit zur Abtreibung" in die Verfassung aufgenommen. Mit großer Zustimmung der Abgeordneten: 780 stimmten dafür, 72 dagegen. Weitgehende Einigkeit darüber gab es auch in der Bevölkerung. Meinungsumfragen vom November 2022 zeigten, dass 86 Prozent der Französinnen und Franzosen dafür waren, das Recht auf einen Schwangerschaftsabbruch in den Verfassungsrang zu heben. Als es so weit war, brach vor dem Eiffelturm Jubel aus.

Feministinnen und medizinisches Personal kritisierten allerdings, dass der Verfassungsrang nichts dagegen ausrichten könne, dass es ein starkes Ungleichgewicht zwischen Stadt und Land beim Zugang zu Abtreibung gebe.

Der Abbruch ist in Frankreich seit 1975 bis zur 14. Schwangerschaftswoche legal. Allerdings gibt es auch in der französischen Regelung – wie auch in Österreich – eine Gewissensklausel, durch die es Ärzte und Ärztinnen aus ethischen Gründen ablehnen können, eine Abtreibung vorzunehmen. Die Kosten eines Schwangerschaftsabbruchs übernimmt die Krankenversicherung. (Beate Hausbichler)

Demonstration Deutschland
Die Ampel soll den Paragrafen 218 aus dem Strafgesetzbuch streichen.
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Deutschland: In kleinen Schritten zur Entkriminalisierung

Wer abtreibt, darf nicht mehr kriminalisiert werden. Diese Forderung gibt es in Deutschland seit vielen Jahren. Und nun könnte tatsächlich Bewegung in die Sache kommen.

Eine Kommission rät der Ampel nämlich, den Schwangerschaftsabbruch zu legalisieren. Dieser ist aktuell nach Paragraf 218 Strafgesetzbuch (StGB) rechtswidrig. Allerdings bleibt er unter bestimmten Bedingungen straffrei.

Der Abbruch muss in den ersten zwölf Wochen erfolgen, zudem muss die betroffene Frau zunächst eine staatlich anerkannte Beratungsstelle aufsuchen.

Die Regierung will nicht sofort handeln, sondern zunächst gründlich überlegen. Andererseits drängt die Zeit. Dass SPD, Grünen und FDP eine zweite gemeinsame Regierung beschieden sein wird, glaubt kaum jemand.

Die nächste Bundestagswahl ist schon in eineinhalb Jahren. Mit der derzeit oppositionellen CDU/CSU wäre eine Legalisierung nicht hinzubekommen. Sie wehrt sich heftig gegen eine solche und droht auch mit einer Klage vor dem Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe.

Dass Frauen ja auch derzeit (unter Bedingungen) abtreiben können und daher eine Legalisierung nicht nötig sei, sieht die Ärztin und Medizinethikerin Claudia Wiesemann nicht: "Das ist nicht nur einfach eine Formalie, das macht für Frauen einen großen Unterschied, ob das, was sie tun, Unrecht ist oder Recht."

Gestrichen hat die Ampel bereits den Paragrafen 219a im Strafgesetzbuch – das "Werbeverbot". Seither dürfen Ärztinnen und Ärzte sachlich über mögliche Abtreibungen informieren. Das war bis dahin verboten. (Birgit Baumann)

Demonstration Italien
Die Kirche protestiert seit Jahrzehnten gegen die "Legge 194".
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Italien: Das Recht auf Abtreibung soll ausgehöhlt werden

In Italien sind Schwangerschaftsabbrüche bis zur zwölften Woche legal. Voraussetzung sind ein Beratungsgespräch und eine siebentägige Bedenkzeit. Seit Inkrafttreten der "Legge 194" (Gesetz 194) im Jahr 1978 gab es zwei Volksabstimmungen rechter und katholischer Parteien, das Gesetz auszuhebeln, jeweils mit tatkräftiger Hilfe der Kirche. Sie scheiterten stets klar.

Die Rechtskoalition von Giorgia Meloni will nun einen neuen Versuch unternehmen. Das aktuelle Gesetz soll nicht abgeschafft, aber die psychologischen Hürden für abtreibungswillige Frauen sollen deutlich erhöht werden: So sollen beim Beratungsgespräch auch Vertreter der militanten Abtreibungsgegner von Pro Vita oder ähnlichen Organisationen zugelassen werden – also keine Rede mehr von "wertfreier Aufklärung" wie bisher, sondern moralischer Druck auf die Frauen.

Die Opposition protestiert heftig gegen die "neue Offensive der Rechtsparteien gegen das Recht der Frauen auf Selbstbestimmung"; Meloni breche mit ihrem Vorstoß ein Wahlversprechen.

Schon jetzt sind italienische Frauen mit erheblichen Hindernissen konfrontiert, trotz der verhältnismäßig liberalen Gesetzeslage. Vor allem fehlt es an Ärztinnen und Ärzten, die bereit sind, Abtreibungen vorzunehmen. Diese dürfen den Eingriff explizit aus Gewissensgründen ablehnen – Tendenz stark steigend. In der Millionenstadt Rom führen nur noch zwei Spitäler Abtreibungen durch.

Prinzipiell ist die Zahl der Schwangerschaftsabbrüche in Italien stark zurückgegangen: 63.000 im Jahr 2021 im Vergleich zu 235.000 im Jahr 1983. Hauptgrund für den Trend dürfte bessere Verhütung sein. (Dominik Straub)

Demonstration Polen
Liberalisierung ja – aber wie und wie weit?
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Polen: Liberalisierung ja – aber wie und wie weit?

Erst am vergangenen Freitag unternahm der Sejm, das Unterhaus des polnischen Parlaments, einen Schritt in Richtung Liberalisierung des Abtreibungsrechts. Und doch ist noch längst nicht klar, wie dieses am Ende konkret aussehen wird. Das Problem: Die Abgeordneten der seit Dezember amtierenden breit gefächerten Regierungskoalition unter dem liberalen Premierminister Donald Tusk haben in erster Lesung gleich vier Gesetzesentwürfe an einen Sonderausschuss weitergeleitet. Der soll sich nun mit den doch recht unterschiedlichen Vorschlägen befassen.

Aktuell gilt in Polen eines der restriktivsten Abtreibungsgesetze Europas. Für einen legalen Schwangerschaftsabbruch gibt es nur drei Gründe: Vergewaltigung, Inzest oder Komplikationen, die das Leben der Schwangeren bedrohen. Selbst schwere Fehlbildungen des Fötus rechtfertigen eine Abtreibung demnach nicht.

Tusks liberale Bürgerkoalition und das mitregierende Linksbündnis Lewica sind nun für eine Entkriminalisierung von Abtreibungen bis zur zwölften Schwangerschaftswoche. Der konservativ-zentristische Koalitionspartner Dritter Weg will sie nur nach einem Verbrechen sowie bei einer bestehenden Gefährdung für die Schwangere oder den Fötus erlauben.

Umstritten ist auch, ob zu der Frage ein Referendum durchgeführt werden soll. Zwar könnte damit wohl ein Veto von Präsident Andrzej Duda ausgebremst werden, der aus der abgewählten nationalkonservativen Partei PiS stammt. Viele befürchten aber, dass Kirche und rechte Parteien vor dem Votum die Stimmung im katholisch geprägten Polen erneut aufheizen könnten. (Gerald Schubert, 20.4.2024)