Rushdie Roman Attentat Messer Fatwa
Der US-britische Autor Salman Rushdie tritt mit dem Attentäter von 2022 in eine Art von fiktivem Dialog – und fühlt sich durch den Mordversuch in das Jahr der Verhängung der Fatwa über ihn (1989) zurückgeschleudert.
AFP/KIRILL KUDRYAVTSEV

Salman Rushdie empfand den Attentäter, der ihn mit einem Messerangriff im August 2022 töten wollte, wie einen "Zeitreisenden". Das sagte der in Indien geborene britisch-amerikanische Autor dem Magazin Stern – kurz vor Veröffentlichung seines jüngsten Buchs Knife, das am Dienstag erschienen ist. In ihm rekapituliert Rushdie das Attentat und dessen Folgen.

Er habe bis dahin das Gefühl gehabt, die Welt habe sich weiterentwickelt, seit der iranische Revolutionsführer Ayatollah Khomeini wegen des angeblich blasphemischen Buchs Die Satanischen Verse mit einer Fatwa zu seiner Ermordung aufgerufen hatte, so der 76-Jährige. Doch der Attentäter habe auf ihn gewirkt "wie ein Zeitreisender, der in einer Zeitmaschine aus dem Jahr 1989 angekommen ist. Und der versucht, mich in dieses Jahr zurückzuziehen."

Dass der zum Tatzeitpunkt 24-jährige Angreifer, der inzwischen auf seinen Prozess wartet, das Buch wohl gar nicht gelesen hat, überraschte Rushdie hingegen nicht. "Ayatollah Khomeini, der die Fatwa gegen mich aussprach, hat auch zugegeben, mein Buch nie gelesen zu haben", sagte er dem Stern.

Rachegefühle gegenüber dem Attentäter, der ihn schwer verletzte und sein rechtes Auge zerstörte, hat Rushdie aber nicht. "Ich möchte, dass er für eine wirklich lange Zeit ins Gefängnis geht", sagte er. Doch bisher stehe nicht einmal fest, wann genau der Prozess beginnen werde. Wenn er dabei aussagen sollte, könnte das ein wichtiger Moment für ihn sein, so Rushdie. "Er muss mich ansehen. Er hat mich angegriffen, aber auch verfehlt. Er hat sein Leben ruiniert. Und ich habe es geschafft, mein Leben zum größten Teil zurückzugewinnen."

Verletzliche Seite

In Knife berichtet Rushdie auf 255 Seiten weitgehend chronologisch über die Tat und seinen Heilungsprozess sowie über die Menschen, die ihm auf dem Genesungsweg geholfen haben. Er gewährt tiefe Einblicke in sein Privatleben, seine Verhältnisse, seine Familie. Der sonst so streitlustige Rushdie zeigt sich von seiner verletzlichen Seite. Eines wird deutlich: Der Angriff auf sein Leben, so viele Jahre nachdem er sich bereits als sicher gewähnt hatte, hat ihn erschüttert und aufgewühlt – aber nicht gebrochen.

Auch dem Attentäter widmet er ein ganzes Kapitel, allerdings nennt er ihn nicht beim Namen, sondern lässt ihn nur als A. (kurz für Arschloch) in Erscheinung treten. Rushdie zeigt sich geradezu enttäuscht über die dürftige Begründung, die der Mann für die Tat anführte: Sein Opfer sei ein "unredlicher Mensch". Beinahe gekränkt wirkt er, dass der auf seinen Prozess wartende Attentäter in seinen Werken allenfalls geblättert hat und kaum etwas über ihn zu wissen scheint. Rushdie lässt sich mit A. auf einen fiktiven Dialog ein, in dem er dessen wohl islamistisches Motiv ergründen und argumentativ entkräften will.

Knife, obschon kein fiktiver Stoff, liest sich wie ein typischer Rushdie-Roman, nur dass es dieses Mal der in Bombay (heute Mumbai) geborene Schriftsteller selbst ist, der in eine magisch-realistische Welt eintaucht. Dabei verliebt er sich in eine mit geradezu übernatürlichen Kräften ausgestattete Schönheit – die US-Dichterin Rachel Eliza Griffiths – und gerät an böse, kleingeistige Mächte. Selbst das Messer kommt zu Wort: "Ich habe auf dich gewartet. Siehst du mich? Ich bin gleich vor deinen Augen, versenke meine Attentäterschärfe in deinen Hals. Spürst du's?", flüstert das Mordinstrument.

Mühsame Rückkehr

Die Rückkehr ins Leben ist mühsam. Doch Rushdie berichtet von kleinen Fortschritten und Rückschritten in seinem Genesungsprozess humorvoll, wie nur Rushdie es kann. Etwa wenn er erzählt, wie ihm ein Blasenkatheter gelegt wird: "Es hörte sich an, als würde mein Penis um Gnade winseln."

Das Buch ist aber auch eine Selbstreflexion darüber, wer Salman Rushdie ist. Er selbst möchte sich am liebsten an seinem literarischen Gesamtwerk gemessen sehen, räumt aber ein, dass diese Hoffnung mit dem Attentat einen deutlichen Dämpfer erhalten hat. "Falls das Schicksal mich in eine Art tugendsame, freiheitsliebende Barbie-Puppe verwandelt hat, in einen Rushdie der Meinungsfreiheit, dann will ich dieses Schicksal annehmen", resümiert er in Knife. (red, APA, 16.4.2024)