Anna Jermolaewa, seit 1989 in Österreich lebend, krönt ihre bisherige Karriere mit einer Biennale-Teilnahme.
Anna Jermolaewa, seit 1989 in Österreich lebend, krönt ihre bisherige Karriere mit einer Biennale-Teilnahme.
Maria Ziegelböck

Österreichs Beitrag zur Ende dieser Woche startenden Kunstbiennale in Venedig wird mit Sicherheit zu den politisch spannendsten der Großausstellung gehören. Mit Anna Jermolaewa hat sich Kuratorin Gabriele Spindler für eine Künstlerin entschieden, deren Biografie allein schon als Statement gilt: eine russisch-österreichische Dissidentin, deren Regimekritik von der Sowjetzeit bis zum Putinismus Kontinuität im Kampf für Demokratie und Humanismus zeigt.

Im Österreich-Pavillon wird Jermolaewa gemeinsam mit der ukrainischen Balletttänzerin Oksana Serheieva den Ballettklassiker Schwanensee in Endlosschleife aufführen. Der Gedanke dahinter: Wenn in der Sowjetunion im Staatsfernsehen Schwanensee gesendet wurde, wusste die Bevölkerung, dass ein Regimewechsel oder anderes Ungemach im Gange war. Jermolaewa deutet die Propaganda-Beruhigungspille nun zum subversiven Kommentar auf Putin um.

Anna Jermolaewa im "Kontakt Videoporträt"
DER STANDARD

Derartige mit Ironie vermittelte Politkunst steht beispielhaft für die Arbeit der Künstlerin, die Performance, Installationen, Konzeptkunst bis hin zur Malerei umfasst. Die Biennale-Teilnahme krönt die große Anerkennung, die der 1970 in Leningrad (heute Sankt Petersburg) Geborenen in den letzten Jahren in Österreich und international zuteilwurde.

Mit 16 gegen die Staatsmacht

Startschuss für Jermolaewas politisches Engagement war eine Reise nach Odessa, wo die damals 16-Jährige den ukrainischen Künstler Wladimir Jaremenko kennen- und lieben lernte. Gemeinsam engagierten sie sich in der ersten Oppositionspartei der bröckelnden Sowjetunion, verfassten dissidente Schriften und Flugblätter, weswegen sie 1989 in den Westen flüchten mussten. Sie landeten in Wien, bis heute Jermolaewas Wahlheimat. Die Aufnahme an die Kunstakademie gelang zwar nicht sofort, mittlerweile unterrichtet Jermolaewa aber an der Linzer Kunstuni selbst.

Mit ihrer Fluchtgeschichte fügt sich Jermolaewa auch in das ausgegebene Biennale-Motto "Foreigners Everywhere" (Ausländer überall) ein. Bei Ausbruch des Ukrainekriegs stellte sie ihre Kunst zunächst zurück, um Flüchtenden aus der Ukraine direkt zu helfen. Die Hoffnung auf einen politischen Frühling in Russland hat Anna Jermolaewa trotz allem nie aufgegeben. Mit ihrer Teilnahme an der Moskau-Biennale 2015 schlug sie – als dies noch möglich war – mit mutiger Antiregimekunst direkt im Zentrum der Macht zu. (Stefan Weiss, 15.4.2024)