Mittelalterliches Buch
Mittelalterliche Bücher gehören oft zu den Sammlungen großer Bibliotheken. Meist sind sie dort neben ihrer physischen Form auch digital vorhanden, um für die Nachwelt gesichert zu sein. Das Sammeln und Aufbewahren als Kernaufgabe von Bibliotheken, Staatsarchiven und Universitäten schließt inzwischen auch enorme Mengen digitaler Medien ein.
Getty Images

Die digitale Welt ist schnelllebig. So schnell sie aber neue Werkzeuge, Funktionen und Möglichkeiten hervorbringt, so schnell altern auch die bestehenden. Eine Grafik- oder Textdatei, die in den 1990er-Jahren mit damals zeitgemäßer Software erstellt wurde, ist heute vielleicht nur mehr schwer zugänglich – weil das Programm von damals nicht mehr verfügbar ist, es auf aktuellen Computern nicht läuft oder einfach, weil man keine Möglichkeit hat, eine Diskette oder CD-ROM auszulesen.

Sammeln im digitalen Zeitalter

Bei Bibliotheken, Staatsarchiven oder Universitäten gehört das Sammeln und Aufbewahren von – mittlerweile oft nur digital vorhandenen – Dokumenten zu den Kernaufgaben. Gerade sie sind angehalten, in Systemlösungen zu investieren, die die Daten nicht nur sicher aufbewahren, sondern trotz aller Programm-Updates und neuer Datei- und Speicherformate langfristig zugänglich halten. In Österreich hat die Österreichische Bibliothekenverbund und Service GmbH (OBVSG) in den vergangenen Jahren einen neuen Service in diesem Bereich der Langzeitarchivierung (LZA) aufgebaut.

"Das Angebot ist konsortial organisiert. Das bedeutet, das Betreiben der Serverinfrastruktur und der Speicherorte sowie der Aufbau des technischen und organisatorischen Know-hows und weitere Aufgaben sind zwischen der OBVSG und den jeweiligen Partnern, beispielsweise der Österreichischen Nationalbibliothek (ÖNB), aufgeteilt", erläutert Bettina Kann, die in der OBVSG für die Koordination der Verbundteilnehmer zuständig ist. "Von der Entwicklungsarbeit, die in diesem Rahmen geschieht, profitieren dann gleichzeitig auch weitere Partner, die ebenfalls ein LZA-System mit uns betreiben."

Von Gesetzblättern bis zu Papyri

Gemeinsam mit der ÖNB wurde der neue Service ab 2019 aufgebaut. Hier fallen enorme Datenmengen an, die langfristig verfügbar bleiben müssen. "Zum einen sammeln wir seit 15 Jahren Born-Digital-Medien, die also nur digital vorliegen. Dazu gehören heute auch Rechnungshofberichte, Bundesgesetzblätter und Hochschulschriften", erklärt Michaela Mayr, die die Digitale Bibliothek der ÖNB leitet. "Andererseits entstehen im Zuge einer Schutzdigitalisierung digitale Pendants unserer physischen Sammlungen – von den ältesten Papyri über mittelalterliche Bücher bis zu Ansichtskarten- oder Plakatsammlungen."

Bei der Suche nach einem LZA-System fiel die Wahl auf ein spanisches Produkt, das die nötige Flexibilität mitbrachte, um es für die verschiedenen heimischen Institutionen adaptieren zu können. An der ÖNB ist das System etwa als sogenanntes Dark Archive konzipiert, beschreibt Mayr. "Hier ist die Langzeitarchivierung vollkommen getrennt von jenen Bereichen, auf die Normalnutzer zugreifen." Die Daten werden, egal über welchen Weg die Anlieferung erfolgt, immer in der besten Qualität in die LZA aufgenommen. Die Eingliederung ins Archiv erfolgt dabei, begleitet von umfassenden Fehlerprüfungen, vollautomatisch.

Gleichzeitig steht die LZA im automatischen Austausch mit einem Repositorium – einem weiteren Datenlager, in dem die Bestände in nutzerfreundlichen Formaten für Anwender, Bibliotheksbesucher und Forschende verfügbar sind. "Auf die vollautomatisierte LZA selbst haben dagegen nur wenige ÖNB-Mitarbeitende Zugriff, beispielsweise wenn eine neue Sperrfrist für die Freigabe einer Hochschulschrift eingetragen werden muss", sagt Mayr.

15 Terabyte pro Jahr

Während frühere Archivlösungen von der ÖNB allein betrieben wurden, wird die neue Langzeitarchivierung nun auf den Servern der OBVSG betrieben, die archivierten Daten selbst bleiben dagegen in der Obhut der ÖNB. Laut Mayr steht der Archivierungsprozess im Moment bei etwa 200.000 Objekten und 142 Terabyte Speicherbedarf, pro Jahr kommen etwa 15 Terabyte dazu. Die Speicherung erfolgt sicherheitshalber an drei Standorten, zwei davon sind in Wien, einer in St. Johann im Pongau. Der Datentransferraten machten es auch notwendig, eine leistungsstarke Standleitung zwischen OBVSG und ÖNB einzurichten.

Die Konsortialpartner stehen im engen Austausch bezüglich Weiterentwicklungen neuer Funktionalitäten. Diese können gegebenenfalls auch von weiteren Anwendern, die im Lauf der Zeit dazukommen, genutzt werden. Mittlerweile setzt etwa auch die WU Wien auf die neue Langzeitarchivierung. "Hier geht es vor allem um – teilweise lediglich digital vorliegende – Verwaltungsdaten wie Personalakten oder Rektoratsprotokolle, zu deren Archivierung wir gesetzlich verpflichtet sind. Aber auch Sondersammlungen wie die Nachlässe der Ökonomen Kurt Rothschild und Josef Steindl sind für die Langzeitarchivierung vorgesehen", sagt Silvia Köpf von der Bibliothek der WU Wien. "Angedacht ist, dass künftig auch die Publikationen der WU aufgenommen werden können." Speicherort der Daten bleiben auch hier die WU und deren Back-up-Zentren.

Whatsapp-Chats archivieren

Bei der Etablierung einer neuen Archivlösung dieser Art gehören die Vorarbeiten zu den größten Herausforderungen. "Die sehr heterogenen Datenbestände müssen analysiert, bereinigt und neu strukturiert werden, um sie in ein neues System übertragen zu können", erklärt ÖNB-Expertin Mayr. Gerade im Zusammenhang mit ungewöhnlichen Datenformaten stehen noch weitere Entwicklungsaufgaben an. "Vor- und Nachlässe, die wir bekommen, enthalten immer öfter auch E-Mails, Fotos, Videos und andere digitale Daten. Man muss sich etwa darüber Gedanken machen, wie man einen Whatsapp-Chatverlauf archivieren kann", veranschaulicht Mayr.

Um die archivierten Daten dann tatsächlich auch in dutzenden Jahren noch einsehen zu können, behalten eigene Systemkomponenten der LZA den Lebenszyklus der registrierten Formate langfristig im Blick. "Im Zuge eines 'preservation planning' wird die Aktualität von Dateitypen laufend geprüft. Eigene Reports zeigen an, bei welchen Formaten man Schritte setzen muss", beschreibt Kann von der OBVSG. Bei der noch jungen Langzeitarchivierung der ÖNB waren noch keine größeren Interventionen nötig. "Bisher gab es noch keine Veranlassung zu einer Datenmigration aufgrund eines obsoleten Formats", sagt Mayr. "In den kommenden Jahren und Jahrzehnten werden aber immer öfter Maßnahmen nötig sein." (Alois Pumhösel, 15.4.2024)