Annie Clark alias St. Vincent brennt für ihre Musik.
Annie Clark alias St. Vincent brennt für ihre Musik.
AP

Annie Clark wird nicht nur als begnadete Songschreiberin und Gitarristin geschätzt. Die US-Amerikanerin versteht es auch locker, die Funkiness eines Prince mit der stilprägend harschen wie ziselierten Gitarrenarbeit eines Robert Fripp von King Crimson für David Bowie in dessen Scary Monsters-Phase zu verbinden. Seit gut zwei Jahrzehnten unter dem Künstlernamen St. Vincent im Geschäft, zählt sie zu den wenigen stilübergreifenden Künstlern und Künstlerinnen, die gerade auch in ihren Kollaborationen mit der Kollegenschaft einen weiten Bogen zu spannen schaffen.

Nach ihren Anfängen als Studentin am renommierten Berklee College of Music spielte sie in der Folge nicht nur in Indiebands wie The Polyphonic Spree oder im Gitarrenorchester vom New Yorker Underground- und Avantgarde-Urgestein Glenn Branca. Sie komponierte auch gemeinsam mit Taylor Swift deren Hit Cruel Summer. Sie arbeitete mit David Byrne von den Talking Heads auf dem Album Love This Giant zusammen – und sie gastierte auf Alben von Sheryl Crow, den Gorillaz oder auf To Be Kind der monolithischen Noise- und Wall-of-Sound-Größen Swans. Auch Kolleginnen aus dem jüngeren Streaming-Segment des Mainstreams wie Olivia Rodrigo schätzen sie als Einsagerin.

StVincentVEVO

Gemeinsam mit Gästen wie Dave Grohl, der in altbewährter Powerplay-Manier von Nirvana das Schlagzeug aus der Muppet Show bedient, oder auch der mit Anfang 40 gleichaltrigen walisischen Musikerin und Produzentin Cate Le Bon ist nun ihr siebtes Album entstanden. All Born Screaming führt ihre diversen Einflüsse zusammen, ohne dabei thematisch allzu streng wie auf Vorgängerarbeiten wie Masseduction vorzugehen.

Wie man im Video der Single Broken Man und auch auf dem Cover des Albums sieht, brennt hier jemand ziemlich theatralisch für seine Musik. Musikalisch wird dabei der Industrial Rock der Nine Inch Nails mit ihren verzerrt in der Magengrube bohrenden Bässe und brutalen Beats mit der aus dem artifiziellen Bluesrock einer sich selbst zerfleischenden PJ Harvey kurzgeschlossen: "Lover, nail yourself right to me / If you go, I won’t be well / I can hold my arms wide open / But I need you to drive the nail."

Wir verlassen die Erde

Der Song Big Time Nothing kombiniert den 1980er-Funk von Prince mit Bowie mit ihrer hellen und schneidigen Gesangsstimme. Auf So Many Planets werden die Talking Heads und deren pathetische, "afrikanisch" angehauchte Melancholie neu und zeitgemäß gedacht: "I have to visit so many planets / Beforе I find my own / I fall asleep in the golden highway / Before I finally find." Und auch der Kehraus mit dem Titelsong All Born Screaming könnte locker aus der Feder eines David Byrne stammen, der 1983 mit den Talking Heads auf Speaking in Tongues seinen Zenit schon zart überschritten hatte.

Am Ende bleibt Zuversicht

Der hymnische Chor, mit dem St. Vincent das Lied und das Album über einem pulsierenden Beat ausklingen lässt, weist darauf hin, dass nicht alles in dieser Welt ohne Hoffnung ist. Wir alle werden in mit einem Beschwerdeschrei auf den Lippen geboren. Das hält dann während der gesamten Lebensspanne an. In der Hoffnung darauf, dass alles besser werden wird, sobald wir einst die Erde wieder verlassen haben, verbleibt St. Vincent am Ende – ja, doch – zuversichtlich. (Christian Schachinger, 27.4.2024)