Timothée Chalamet und Elle Fanning am Set des Bob-Dylan-Biopics
Timothée Chalamet und Elle Fanning am Set des Bob-Dylan-Biopics "A Complete Unknown".
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Ruhm, psychische Probleme, Drogenmissbrauch, Tod. Ein sich noch immer hartnäckig haltender Mythos besagt, dass man als Künstlerin oder Künstler nach rasantem Aufstieg möglichst jung und berauscht sterben muss. Aktuell kann man dabei im Kino der legendären britischen Soulsängerin Amy Winehouse in Back to Black zusehen, die 2011 mit 4,16 Promille Alkohol im Blut tragisch starb. Nicht nur den frühen Tod mit 27 Jahren teilt sie mit vielen ihrer Zunft, auch das Schicksal, adaptiert auf der großen Leinwand zu landen, ereilt zurzeit immer mehr Popstars. Verfilmte Lebensgeschichte scheint der nächste große Trend zu sein – aber warum überschwemmt Hollywood gerade jetzt den Markt mit Biopics über Musikerinnen und Musiker?

Die Welle der Biopics

Eine kleine Bestandsaufnahme: Vor wenigen Wochen wurde Bob Marley: One Love trotz gemischter Kritiken zu einem der erfolgreichsten Filme des laufenden Jahres. Im Bob-Dylan-Film, der gerade produziert wird, spielt Timothée Chalamet, der gerade die Karriereleiter zum aktuell größten Star Hollywoods hinaufklettert, die Titelrolle. Jeremy Allen White, The Bear-Star und globaler Calvin-Klein-Unterhosen-Botschafter, wird Bruce Springsteen sein. Und es gibt auch schon erste Bilder vom Michael-Jackson-Biopic. Cher ist bei der Wahl ihrer Hauptdarstellerin so wählerisch, dass sie es ständig verschiebt, und Madonna hat ein geplantes Biopic wieder abgesagt. Auch renommierte Regisseure verfilmen ihre Lieblingsmusiker. Martin Scorsese arbeitet an einem Film über die Psychedelic-Rocker The Grateful Dead, Ridley Scott verfilmt die Bee Gees, und Sam Mendes will gleich vier Beatles-Filme veröffentlichen, je einen aus der Perspektive jedes Pilzkopfs.

Das Filmdrama
Das Filmdrama "Bob Marley: One Love" war vor wenigen Wochen überraschend ein großer Erfolg. Kingsley Ben-Adir spielt darin den jamaikanischen Reggaesänger.
AP/Chiabella James

Begonnen hat diese aktuelle Welle 2018 mit dem Queen-Film Bohemian Rhapsody, der das Leben von Freddy Mercury in eine Drehbuchvorlage presst und sich weder mit seiner Sexualität noch mit dem ausufernden Drogenkonsum ernsthaft auseinandersetzt. Die Formel, einen charismatischen Hauptdarsteller mit tragischem Leben und fetzigem Soundtrack zu kombinieren, ging als bunte Live-Aid-Karaokeshow mit optimistischer Hauptfigur auf. Durch seine Jugendfreigabe hat Bohemian Rhapsody weltweit 903 Millionen US-Dollar eingespielt. Es folgten Rocketman über Elton John und Elvis von Baz Luhrmann, der die Karriere von Hauptdarsteller Austin Butler ankurbelte und ihm eine Oscar-Nominierung bescherte.

Im Vorjahr wurde Elvis’ Biografie noch durch Sophia Coppolas Priscilla um die Perspektive seiner ehemaligen Ehefrau erweitert. Und dann gibt es Filme wie Stardust, dessen Erscheinen David Bowies Angehörige sogar verhindern wollten – er musste letztlich ohne Bowies Musik auskommen. Dass sich der Vater von Amy Winehouse von der 2015 erschienen kritischen Doku Amy distanziert hat, während er den aktuellen Film billigt, hat auch mit der Darstellung seiner Person zu tun. Hollywood sind persönliche Befindlichkeiten egal. Dort liebt man es, Pferde so lange zu reiten, bis sie tot sind.

Aktuell kann man Marisa Abela als britische Sängerin Amy Winehouse in
Aktuell kann man Marisa Abela als britische Sängerin Amy Winehouse in "Back to Black" im Kino sehen.
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Apropos Pferd. Dem Western-Genre ist genau dasselbe passiert. Während zwischen 1940 und 1960 pro Jahr jeweils bis zu 140 Western produziert wurden, folgten in den späten 1960ern fast gar keine mehr. Das letzte Opfer einer solchen Trendwende sind aktuell gerade die Superheldenfilme. "Es wird eine Zeit geben, da der Superheldenfilm den Weg des Westerns geht", sagte Steven Spielberg bereits 2015 in einem Interview. Mit Filmen wie Iron Man, The Avengers und Black Panther war das Marvel Cinematic Universe in der letzten Dekade der große Erfolgsgarant für Disney.

Tod den Superhelden

Nach schrumpfenden Einnahmen markierte der große Misserfolg von The Marvels 2023 wohl das endgültige Ende dieser Ära. Nicht einmal ihr Budget von 274 Millionen US-Dollar spielte die Produktion ein. Das Publikum scheint genug von bunten Latexkostümen, lieblosen CGI-Schlachten und einem formelhaften Multiversum zu haben.

Da ergibt es Sinn, wieder auf ein altbewährtes Erfolgsrezept umzusatteln. Biopics sind in den Augen der Produktionsstudios ein perfektes Genre: Man braucht keine innovativen Ideen und kein großes Budget. Aus Nostalgie strömen sowieso genügend bereits vorhandene Fans in die Kinosäle. Große Filmbiografien haben in Hollywood eine lange Tradition. Lawrence von Arabien, Gandhi und Amadeus waren nicht nur Box-Office-Erfolge, sondern wurden klassischerweise auch bei den Oscars immer bedacht. Auch dieses Jahr war Oppenheimer über den Vater der Atombombe mit sieben Auszeichnungen der große Gewinner.

Sony Pictures Entertainment

Eine Musiker-Biopic-Welle gab es bereits vor 20 Jahren schon einmal, mit Walk the Line über Johnny Cash und dem Ray-Charles-Film Ray. Die heutigen Produktionen sind aber immer öfter von minderer Qualität und funktionieren alle nach dem gleichen Schema. Vorausschauend hat das 2007 bereits die Parodie Walk Hard: Die Dewey Cox Story aufgezeigt.

Die fade Erfolgsformel

Meistens beginnt ein solcher Film kurz vor einem ikonischen Auftritt. Rückblende in die Kindheit: Ein junger, motivierter Musiker in der Provinz, im Idealfall geprägt von einem Kindheitstrauma, spielt erste kleine Gigs. Schnell entsteht der Kontakt zu einem älteren Musiker, einem Manager – einem Mentor. Dann folgt eine Montage. Die Shows werden größer, unser Star trifft auf andere in der Branche, Drogen schleichen sich ein. Während die Substanzen am Anfang noch mit dem Erfolg harmonieren, werden Hits und auch das Ego immer größer. Auf höchste Höhen folgen tiefste Tiefen. Freunde und Familie distanzieren sich, die Band zerbricht, eine Abwärtsspirale beginnt. Nach dem Fall kommt der Entzug, der erneute Kampf an die Spitze. "We’re getting the band back together!" Und wenn sie nicht gestorben sind, dann gibt es zum Schluss ein Standbild, in dem die weiteren Lebensläufe der Charaktere erklärt werden.

Bohemian Rhapsody, Elvis, Rocketman, auch der Whitney-Houston-Film I Wanna Dance With Somebody: Mit mehr oder weniger großen Variationen funktionieren all diese Filme nach diesem Schema. Dabei ergibt sich ein Problem. Man kann über eine Person gar nichts Bedeutendes sagen, wenn man ihr Leben in eine vorgefertigte Schablone drückt, die immer gleichen Stationen wiederkäut und das Ganze mit einem Greatest-Hits-Soundtrack unterlegt. Wie Superheldenfilme sind Popstar-Biopics erfolgreich, weil sie uns Charaktere und einen Mythos präsentieren, die wir bereits kennen. Echte, schmerzhafte Lebensmomente verkommen zum Klischee. Wo die Wahrheit liegt, interessiert Hollywood nicht.

Diese konventionellen Regeln zu brechen getraut sich fast niemand. Eine gelungene Ausnahme bildet I’m Not There von Todd Haynes, der sich vor 17 Jahren experimentierfreudig mit der Musik und den vielen verschiedenen Leben von Bob Dylan beschäftigt hat. Dylans Name wird kein einziges Mal erwähnt, aber sechs verschiedene Darsteller spielen von ihm inspirierte Charaktere: mit dabei Christian Bale, Richard Gere, Cate Blanchett.

Für Timothée Chalamet sind das große Fußstapfen, in die er treten muss. Vielleicht schaut man sich auch das Multiversum der Superheldenfilme ab, und Bob Dylan wird in Zukunft im geplanten Beatles-Cinematic-Universe von Sam Mendes auftauchen. Überschneidungspunkte in prägenden Lebensphasen gäbe es genug. Immerhin war es der heutige Literaturnobelpreisträger Dylan, mit dem die vier in einem New Yorker Hotelzimmer in der Nacht vom 28. August 1964 ihre ersten Erfahrungen mit Cannabis machten. "Got to get you into my life", textete Paul McCartney später über das grüne Kraut.

Unkreative Zukunftsaussichten

Mit jedem weiteren Biopic wird aber klar, dass die besten Filme dieser Art Geschichten erzählen, die nicht wirklich passiert sind. Walk Hard hat sich, was das betrifft, zu einem der visionärsten Filme unserer Gegenwart entwickelt. This Is Spinal Tap wurde 1984 vom renommierten Filmkritiker Roger Ebert als einer der "lustigsten, intelligentesten und originellsten" Filme des Jahres bezeichnet. Inside Llewyn Davis geht so nahe, weil er uns in feinfühligen Momenten auf die kleinen Wahrheiten des Lebens stößt. Und wenn Weird al Yankovic mit Pablo Escobar kämpft, wünscht man sich, das wäre wirklich so passiert.

Rotten Tomatoes Trailers

Leider bleibt es die Ausnahme. Die Hollywood-Studios setzen lieber weiter darauf, dass die Zuseher ihre Musikvorlieben mit dem Gefühl verwechseln, dass sie einen guten Film sehen. Aber auch diese Ära wird zu Ende gehen. Dann wird man wieder ein neues Pferd suchen müssen, das man zu Tode reitet. (Jakob Thaller, 14.4.2024)