Vor gut zehn Tagen ist die wertvolle Fracht wieder in Wien eingetroffen: Gustav Klimts Bildnis Fräulein Lieser,das vor der Versteigerung am 24. April vom Auktionshaus "im Kinsky" auf Tournee ins Ausland geschickt wurde. Dorthin, wo jene Klientel beheimatet ist, die zumindest 30, wenn nicht 50 Millionen Euro oder auch mehr zu bieten bereit sein wird.

In Kooperation mit der liechtensteinischen LGT-Privatbank gastierte das Werk Mitte März in London, danach in Genf, in Zürich und schließlich in Hongkong. Nun hält Fräulein Lieser im Palais Kinsky an der Wiener Freyung Hof und empfängt täglich von zehn bis 17 Uhr.

Das Ergebnis KI-basierter Alterung der porträtierten 19-Jährigen weist Ähnlichkeiten zu Helene Berger (rechts), geborene Lieser, auf.
STANDARD-Bildbearbeitung / Im Kinsky, Geni

Knapp drei Monate sind vergangen, seit der Fund des "rund 100 Jahre verschollenen" Bildes und der geplante Verkauf publik wurden. So sehr das Auktionshaus im Vorfeld um eine Klärung der Sachverhalte bemüht gewesen sein mag, offene Fragen bleiben. Auch zur Identität der 1917 Dargestellten, die wohl Rückschlüsse auf die spätere Eigentümerschaft des Werkes liefert, dessen Verbleib von 1925 bis in die 1960er-Jahre vorerst nicht rekonstruierbar war.

Neue Anhaltspunkte

Margarethe Constanze Lieser, Tochter des Industriellen Adolf Lieser, war seit Mitte der 1980er-Jahre die in der Fachliteratur publizierte Annahme. Kinsky-Recherchen förderten jedoch einen neuen Anhaltspunkt zutage. Das zuvor einzig bekannte Foto des Gemäldes basiert auf einem Negativ im Bestand der Österreichischen Nationalbibliothek, auf dessen Kuvert "1925 in Besitz von Frau Lieser, IV., Argentinierstraße 20" vermerkt ist: die Wohnadresse von Henriette "Lilly" Lieser, Schwägerin von Adolf Lieser und Mutter von Annie und Helene Lieser, die als potenziell Dargestellte ebenfalls infrage kommen.

Festlegen konnte und wollte sich das Auktionshaus nicht. So kam es zu einem Restitutionsvergleich mit beiden Erbengemeinschaften und dem gegenwärtigen Eigentümer als Grundlage für den Verkauf. In welchem Verhältnis der Erlös aufgeteilt wird, ist unbekannt, ebenso, ob die vor Monaten getroffene Vereinbarung aufgrund jüngerer Erkenntnisse nun Gegenstand von Nachverhandlungen ist.

Wie berichtet (20. Februar), war das unvollendet gebliebene und deshalb unsignierte Gemälde im November 1961 bei einer "Übersiedlung" in der Wiener Innenstadt aufgetaucht, wie die Presse damals vermeldete.

Illegales NSDAP-Mitglied

Erwähnt wurde Werner Hofmann, der als designierter Gründungsdirektor Interesse für das Museum des 20. Jahrhunderts (ab 1962, späteres Mumok) bekundet hatte. Spoiler: Der Kinsky-Geschäftsführung war dieser Artikel bekannt. Er sei auch mit den Anwälten der beiden Erbengruppen diskutiert worden, wie es jetzt auf Anfrage heißt. Warum er bei der Provenienzforschung des Auktionshauses nicht berücksichtigt wurde, bleibt unklar.

Denn im Hausarchiv des Mumok fand sich auf STANDARD-Nachfrage Korrespondenz, die durchaus Aufschluss über Vorgänge in der NS-Zeit gab, zugleich auch zur Identität desjenigen, der von der damaligen Eigentümerin, die "in den Gaskammern umgekommen" war, "mit der Verwahrung" des Bildes beauftragt worden war. Ein gewisser Adolf Hagenauer, Inhaber eines Delikatessengeschäfts und ehedem illegales NSDAP-Mitglied.

Die Verjüngung via Face App verdeutlicht die Fehlstelle einer Augenbraue.
STANDARD-Bildbearbeitung / Im Kinsky, Geni, Face App

Hofmann bemühte sich vergeblich, das Gemälde als Leihgabe zu bekommen. Wie aus einem Schreiben von Dezember 1961 hervorgeht, plante Hagenauer, es stattdessen seiner Tochter zu vererben. Und genau so sollte es kommen. Sie verstarb vergangenes Jahr hochbetagt und vermachte den Klimt wiederum an einen entfernten Verwandten.

Kammerdiener Jürka

Dem Auktionshaus liegt die Korrespondenz aus dem Mumok zwischenzeitlich vor, sie blieb im aktualisierten Katalogtext jedoch unerwähnt. Stattdessen wird der STANDARD-Artikel kursorisch zitiert, nicht aber die darin enthaltenen Fakten. Auch nicht die Verbindung zwischen Adolf Hagenauer und Lilly Lieser: ein gewisser Jürka, der im Rückstellungsverfahren zu ihrer Immobilien in der Argentinierstraße 20 als Zeuge erwähnt wird, der von Mitte 1939 bis Dezember 1941 bei ihr als Diener tätig gewesen sei.

Neuen Recherchen zufolge betreute er nicht nur Lilly Lieser, sondern auch deren Schwester Ida Mankiewics, die seit März 1939 bei ihr wohnte. Nach dem Verkauf des Palais im März 1941 hatten die beiden jedoch aus der Wohnung in das als Souterrain bezeichnete Kellergeschoß übersiedeln müssen. Sowohl Lieser als auch Mankiewics wurden später deportiert und ermordet: Lilly in Auschwitz, Ida in Theresienstadt.

Was auch immer Franz Jürka in Verwahrung übernommen haben könnte, wurde in den Nachkriegsjahren nicht aktenkundig. Laut dem Genealogen Georg Gaugusch handelte es sich um Adolf Hagenauers Schwiegervater, von Beruf Kammerdiener, wie den Matriken der Pfarre Mariahilf von 1906 zu entnehmen ist. Damit schließt sich ein Kreis, der aktuell in den Verkauf des Gemäldes Involvierte teils etwas in die Bredouille gebracht haben dürfte.

Seit NS-Zeit in Familienbesitz

Denn das Bild befand sich also seit der NS-Zeit durchgehend im Besitz der Familie Hagenauer: Den auch in den Klimt-Werkverzeichnissen erwähnten "Kunsthandel", aus dem das Bild "womöglich" in den "1960er-Jahren" in "Privatbesitz" gelangt sein soll, hat es folglich nie gegeben.

Zugleich legen diese Erkenntnisse nahe, welchem Zweig der Familie Lieser das Gemälde wohl einst gehörte, woraus sich theoretisch Ansprüche ableiten: eher solche der Rechtsnachfolger von Lilly Lieser, als jene von Adolf Lieser. Damit stellt sich neuerlich die Frage zur Identität der Dargestellten, aber auch zur einstigen Beauftragung.

Im Juli 1920 berichtete die "Österreichische Illustrierte Zeitung" über Helene Lieser, die als erste Frau in Österreich in Staatswissenschaften promoviert hatte. Ein damals publiziertes Foto zeigt sie auf den Stufen zum Garten in der Argentinierstraße 20.
Anno, „Österreichische Illustrierte Zeitung“ (4.7.1920, S 8)

Konkret: Hätte Lilly Lieser ihre Nichte oder eine ihrer beiden Töchter von Gustav Klimt porträtieren lassen? Die jüngere Tochter Annie Lieser (Jg. 1901) scheidet als Kandidatin jedenfalls aus. Wie berichtet (4. Februar), hatte sie graue Augen, wie Dokumenten zu ihrer Einwanderung in die USA belegen. Jene von "Fräulein Lieser" sind jedoch haselnussbraun. Künstlerische Freiheit in der Wahl der Augenfarbe ist bei einem Auftragsporträt ja auszuschließen.

Braunäugige Helene

Wer braune Augen hatte: Helene (Jg. 1898), Annies ältere Schwester, die 1920 als erste Frau in Österreich in Staatswissenschaften promovierte. Auch in ihrem Fall ist das über eine Reise in die USA dokumentiert, als sie 1947 ihre in Los Angeles lebende Schwester besuchte, wie der Ökonom Rahim Taghizadegan informiert.

Er forscht seit einiger Zeit gemeinsam mit dem Historiker Herbert Unterköfler für eine Biografie über Helene (verehelichte) Berger, die zu jenen Ökonominnen gehörte, die der bekannten Wirtschaftswissenschafter Ludwig von Mises einst förderte.

Von ihr fanden sich bislang nur zwei historische Fotoaufnahmen. Zum Abgleich mit dem Gemälde eignet sich jedoch nur das Passfoto eines Visums von 1957. Die Fotobearbeitungsanwendung Face App ermöglicht eine Verjüngung, die ein erstaunliches Detail in den Fokus rückt: die rechte Augenbraue, genauer eine kleine Fehlstelle oder Pigmentstörung, ein Merkmal, das auch auf dem Klimt-Gemälde ersichtlich ist. Die KI-basierte Alterung des Porträtausschnittes (via Deepgram) weist wiederum gewisse Ähnlichkeiten mit Gesichtszügen der knapp 60-jährigen Helene auf. Indizien, wo Fakten fehlen, immerhin. (Olga Kronsteiner, 13.4.2024)