Gerne werden Musik und Performance auch in die Natur eingebracht, wie bei
Gerne werden Musik und Performance auch in die Natur eingebracht, wie bei "Shared Landscapes" in frischer Luft zu erleben ist.
Sarah Imsand

Bühnen sind genormt. Entweder blicken die Darstellenden von einem Podest auf das Publikum, oder sie spielen auf oder unter Augenhöhe mit dem Publikum. Der Kunstgenuss ist von Wänden begrenzt. Caroline Barneaud und Stefan Kaegi schaffen mehr Kontakt zur Außenwelt: Mit ihrem Konzept Shared Landscapes – Sieben Stücke zwischen Wald und Wiese machen sie die Natur zur Spielfläche eines gestalterischen Dialogs.

Die siebenstündige Wanderung über die Feld- und Waldwege des St. Pöltener Stadtrandes führt zu sieben Inszenierungen. Inmitten von Gras und Bäumen kann man bei musikalischen und schauspielerischen Darbietungen, Audiotouren oder einem Picknick die eigene Beziehung zur Umwelt reflektieren.

Weiter nach Lissabon

Zum "Ensemble" zählen ebenso Vögel oder Bienen – immerhin geht es bei Shared Landscapes um gemeinsam genutzte Landschaften. Der Anflug durstiger Gelsenschwärme kann da nicht ausgeschlossen werden. Unter solchen soll etwa bei der Inszenierung im Hangelsberger Forst bei den Berliner Festspielen gelitten worden sein. Denn Kaegi von der Künstlergruppe Rimini Protokoll und Barneaud halten ihr Theater- und Kunstprojekt seit 2023 in Naturgebieten ab.

Die beiden waren bereits auf dem Festival d’Avignon vertreten und ziehen im Mai nach sechs Tagen von St. Pölten weiter nach Lissabon und Mailand. Premiere feierten sie im Schweizer Théâtre Vidy-Lausanne, wo Barneaud im Leitungsteam ist.

Voraussichtlich eine Landwirtin

Vorgeführt werden bis zu vierzigminütige Stücke von zehn Kunstschaffenden wie dem spanischen Duo El Conde de Torrefiel oder dem US-Komponisten Ari Benjamin Meyers. Auch lokale Mitspielende sind dabei. "Beim Tangente-Festival werden Schauspielerinnen und Schauspieler aus der Umgebung St. Pölten und Wien, voraussichtlich eine Landwirtin, sechs Blasmusikerinnen und -musiker sowie ein Performer mit Mobilitätseinschränkung, die künstlerischen Konzepte ortsspezifisch adaptieren", erklärt Stefan Kaegi.

Zu erleben sind etwa das Ensemble des Studio Dan oder die Schauspielerin Anna Rot. Hauptdarstellerin aber ist laut Kaegi die Landschaft selbst: "In Brandenburg war es ein flacher, recht trockener Wald. In der Umgebung von St. Pölten dagegen haben wir eine wunderbar hügelige und sehr grüne Landschaft." Ein Unterschied zur von Waldbränden gezeichneten Umgebung von Avignon vorigen Sommer.

Assoziationen des Försters

Zum Programm zählt auch ein Hörstück von Kaegi, für das er Personen aus der Region unter Baumkronen aufnahm und zum Beispiel die Assoziationen eines Försters, eines Kindes oder einer iranischen Sängerin mit dem Wald festhielt. Abgespielt werden die Gespräche beim Liegen auf dem Boden über Kopfhörer, denn das naturverbundene Kunstprojekt verschließt sich der Technik nicht. Bei früheren Performances kamen auch VR-Brillen, Bildschirme oder Lautsprecher zum Einsatz.

Um Stadtmenschen, die vom Wiener Volkstheater mit dem Shuttlebus anreisen können, nicht vor den Kopf zu stoßen, informiert die Tangente-Website über alle Dinge, die es im Wald nicht gibt: Supermärkte, Restaurants, Umkleidekabinen, Schließfächer. Angeraten wird, auf passende Garderobe, leichtes Gepäck und ausreichend Verpflegung zu achten, wobei Lunchpakete gegen Voranmeldung erworben werden können und auch für das Auffüllen des Wasservorrats gesorgt sein wird. (Patricia Kornfeld, 12.4.2024)

"Katalog der Vögel": Olivier Messiaen mit Birgit Minichmayr

St. Pölten – Die Vogelpopulationen in Europa dünnen rapide aus. Laut einer 2021 im Magazin Ecology and Evolution publizierten Studie sind zwischen 1980 und 2020 rund 18 Prozent aller Vögel im Gebiet der EU verschwunden. Die Spatzenpopulation etwa hat sich in dieser Zeit sogar halbiert.Auf diese traurige Entwicklung reagiert die Tangente mit der musikalischen Lesung Katalog der Vögel auf Basis des gleichnamigen Zyklus (Catalogue d’oiseaux) von Olivier Messiaen aus der zweiten Hälfte der 1950er-Jahre. Von Fiston Mwanza Mujila, der das Libretto für Milo Raus Musiktheaterwerk Justice verfasst hat, mit dem das Festival im Festspielhaus St. Pölten beginnt (siehe Seite 28 dieses Spezials), stammt ein Teil der Texte. Ein anderer von der deutschen Schriftstellerin Judith Schalansky und ein dritter von der belgischen Wissenschaftsphilosophin Vinciane Despret.

Birgit Minichmayr liest Texte von Mujila, Schalansky und Despret.
Birgit Minichmayr liest Texte von Mujila, Schalansky und Despret.
APA/dpa/Michael Reichel

Es liest Burgschauspielerin Birgit Minichmayr, am Klavier setzt der renommierte französische Pianist Pierre-Laurent Aimard den musikalischen Katalog seines Landsmanns Messiaen um. Katalog der Vögel beginnt am Tag der Arbeit mittags im Festspielhaus, wechselt in die Ehemalige Synagoge St. Pölten und zieht in die Praterlounge weiter.Der Schwund der Vögel ist mit dem Verlust von Lebensräumen und mit der Dezimierung von Insekten verbunden: Die deutsche Heinrich-Böll-Stiftung spricht in diesem Zusammenhang von einem "ökologischen Armageddon". (Helmut Ploebst, 12.4.2024)