Bei
Bei "The Way of the Water" mit dabei ist die Argentinierin Jimena Croceri. Sie macht fließende Gewässer zu Gestaltern ihrer Werke.
Jimena Croceri

Am Tangente-Programm mit seinen zahlreichen Verknüpfungen und Verflechtungen fällt auf, dass bereits beim Festivalauftakt dem Motiv des Flusses eine entscheidende Rolle zukommt. In der initialen Erzählung der großen Musiktheaterarbeit Justice des Regisseurs (und neuen Leiters der Wiener Festwochen) Milo Rau zur Eröffnung ist von einem fatalen Unfall im Kongo die Rede. Darin verwickelt war 2019 ein mit Schwefelsäure beladener Lastwagen.

Es gab zahlreiche Todesopfer, und die ausfließende Säure – sie war zur Verarbeitung von Kobalt etwa für Handys, Tablets und Elektroautos bestimmt – vergiftete einen nahegelegenen Fluss.

Ganze 24 Kunstschaffend

Im zweiten Projekt lässt sich das Motiv des Flusses bereits aus dem Titel ablesen: The Way of the Water, ein von Joanna Warsza und Lorena Moreno Vera kuratierter Kunstparcours in, wie es heißt, "Zusammenarbeit mit der Traisen und dem Mühlbach". Ganze 24 Kunstschaffende wurden eingeladen, sich mit den fließenden Gewässern auseinanderzusetzen. Ihre Arbeiten üben starken Einfluss auf das Themenfeld im Festival aus: Ökologie, Erinnerung und Demokratie.

Die Operninszenierung und der Kunstparcours erinnern gleichermaßen daran, dass einer der Aufträge, die Kunstschaffenden gegenwärtig zugeteilt werden, die Ermunterung an die gegenwärtigen Gesellschaften ist, ihre Denk- und Lebensweisen zu verändern.

Das Leben ändern

Dabei tritt das Publikum als hoffnungsvolle Gemeinschaft von Übenden auf – ganz im Sinn von Peter Sloterdijks 2009 publizierter Aufforderung Du mußt dein Leben ändern. In dem Buch ist unter anderem von "den Dämonen der Gewohnheit und ihrer Zähmung" die Rede, von "Habitus und Trägheit" und "der Leichtigkeit des Unmöglichen".

Was die an The Way of the Water Beteiligten – etwa Amanda Piña, Elisabeth von Samsonow, das Kollektiv Neonpink oder Jimena Croceri – aus ihrer Beschäftigung mit dem Wasser generieren, kann dabei helfen, die zum Erhalt unserer Lebenswelt nötigen Adaptionen bisheriger Lebensweisen umzusetzen. So könnte aus Sloterdijks "Müssen" ein "Wollen" werden, aus der Sensation eine Sensibilität, aus Konsumabhängigkeiten am besten solidarische Nachhaltigkeit. Die Idee eines Parcours als Erwanderung von Möglichkeiten des Perspektivwechsels ähnelt bei TheWay of the Water einem analog immersiven Erlebnis.

Eine Überwindung

Eine Erfahrung, die als Reise auf dem Weg in eine ökologische Demokratie gelten kann. Und damit wohl auch als möglicher Weg zur Überwindung eines von Frank Schirrmacher so genannten "technologischen Totalitarismus", der auf Kosten der Lebensräume alles Lebendigen auf diesem Planeten doch nur einen von Shoshana Zuboff so eindringlich dargestellten "Überwachungskapitalismus" beschert.

Zu den Geschichten, die sich während des Parcours eröffnen, zählt jene eines Arbeitslagers an den Viehofner Seen oder die von Wassertürmen der ehemaligen Glanzstofffabrik und des Brunnens der Mevlana-Moschee. Weiters ergangen werden Fragen nach Eingriffen in die Umwelt, der Ausbeutung planetarischer Ressourcen – dem Gegenteil umsichtiger Nutzung derselben – und Klimaveränderungen. Zeitgemäß ist eine der Grundlagen für das Projekt mit Frauenrechten verbunden, im "Hydrofeminismus" der Kulturtheoretikerin Astrida Neimanis. (Helmut Ploebst, 12.4.2924)

Klimawandel: Eine Konferenz über Kipppunkte

St. Pölten –Dieser Artikel wird am 7. April geschrieben. Sonntagnachmittag. Durch die Fenster knallt die Sonne, als wär’s Juni. Es wird der früheste Sommertag seit Beginn der Messgeschichte vor 250 Jahren werden. Die Badesaison beginnt erst Anfang Mai, aber an den Seen tummeln sich schon Sonnenhungrige. Das Wasser ist noch kalt, im Fernsehen wird davor gewarnt, einfach so ins frische Nass zu springen, der Körper werde durch den Kälteschock überbelastet. Die frühe Hitzewelle sei gefährlich für Kinder, Kranke und Alte. Ein weiteres Signal dafür, dass der Klimawandel mit Kipppunkten nicht spart.

Im Sonnenpark St. Pölten wird über das Klima debattiert.
Thomas Schnabel

"Tipping Time" heißt passend eine "Klimakonferenz der Zivilgesellschaft", die das Tangente-Festival ab dem 9. Mai drei Tage lang abhält. Kuratiert wird die Veranstaltung im Sonnenpark St. Pölten zusammen mit dem Verein Globart. Nach der musikalischen Eröffnung an Tag eins mit dem Wöd Chor Plus und Sigrid Horn hält der Soziologe Nicolaj Schultz seinen Einleitungsvortrag mit dem Titel "Empfindsam werden. Über einen neuen Existenzialismus für uns und unsere Umwelt". Am Folgetag halten Aktivistinnen und Engagierte Workshops, darunter Johanna Frühwald von Fridays for Future, die Journalistin Clara Pórak und der Aktivist Peter Emorinken-Donatus, der Rassismuskritik und Klimakrise zusammendenkt.

Der 11. Mai ist dann vor allem ein "Tag der Initiativen" aus der Region St. Pölten mit Kunstschaffenden und Fachleuten. Denn man will nicht passiv jammern oder verdrängen, sondern aktiv das Schlimmste verhindern helfen. (Helmut Ploebst, 12.4.2024)