"Verbotene Bücher" und eine protestantische Druckerpresse: Die Renaissancezeit war auch eine Zeit des Konfessionskriegs.
Klaus Pichler

Mit der Renaissance richteten die Menschen Europas ihren Blick von der Vertikalen in die Horizontale, sie wurden von mittelalterlichen Himmelfahrern zu neuzeitlichen Seefahrern. Entdeckerlust statt Gottesfurcht, Erweiterung im Diesseits statt Erwartung des Jenseits stand auf der Agenda. Was aber macht der Renaissance-zeitliche Vermögende des 16. Jahrhunderts auf dem Gebiet des heutigen Niederösterreich? Weit entfernt von der See, den Zentren des Handels und der Bildung? Er will es sich zumindest möglichst schön machen. Davon zeugt die diesjährige kulturhistorische Großausstellung auf der Schallaburg.

Zum 50-Jahr-Jubiläum der Ausstellungstätigkeit auf der Burg bei Melk steht mit der Schau Renaissance – einst, jetzt & hier das Schloss selbst im Mittelpunkt. Zwar geht die Errichtung der Burg auf das 11. Jahrhundert zurück, ab 1560 aber wurde sie von dem protestantischen Adelsgeschlecht Losenstein im Renaissancestil umgebaut und erweitert: Der Figurenreichtum der Hoffassade zeugt am ehesten noch von der kreativen Energie, die in die Gestaltung geflossen ist, und vom neu entfachten Interesse an antiken Stoffen wie dem Herkules-Mythos. Für die Ausstellungsmacher (Robert Gander, Claudia Mark, Gabriele Rath und Bruno Winkler) hieß es diesmal: weg mit zu vielen Schautafeln und Verbauungen, mehr Luft für die schmucken Gemäuer der Behausung selbst – oder zumindest für das, was davon noch übrig ist.

Porträts als Visitenkarten der Zeit

Denn im 19. Jahrhundert verfiel die Burg, Originalinterieur gibt es kaum noch, erst ab den 1970er-Jahren wurde restauriert und rekonstruiert, bis heute wird archäologisch geforscht. Ganz neu begehbar wurde dadurch zum Beispiel ein einst als Festsaal genutzter Raum im Garten. Auch ein Ballhaus, wo einer Frühform des Tennis ("jeu de paume") nachgegangen wurde, und eine Schießstätte sind dem Vergessen entrissen worden.

Die Schallaburg, errichtet im dem 11. Jahrhundert, wurde ab 1560 vom protestantischen Adelsgeschlecht Losenstein zum Renaissance-Schloss ausgebaut.
Die Schallaburg, errichtet im 11. Jahrhundert, wurde ab 1560 vom protestantischen Adelsgeschlecht Losenstein zum Renaissanceschloss ausgebaut.
Klaus Pichler

Die Ausstellung selbst folgt wie immer auf der Schallaburg einer klar strukturierten, gut verständlichen Ordnung. Sie gliedert sich in drei Bereiche: das neue Menschenbild dieser Schwellenzeit, Humanismus und Durchsetzung des heliozentrischen Weltbilds; die Kunstauffassung, erzählt am Beispiel der Schlossarchitektur; und der schleichende Durchbruch der Naturwissenschaften als Startschuss in die Moderne. Erzählt wird all das über eine Vielzahl an Objekten mit Kuriositätencharakter: von der Lutherbibel und den goldenen High Heels der Tiroler Erzherzogin Anna Caterina Gonzaga über Instrumente zur Landvermessung und Sterndeutung bis hin zu Porträts, deren mit Familienwappen verzierte Rückseiten genauso viel zu erzählen haben wie die Vorderansicht.

Modelle jener zahlreichen Figuren aus Mythologie und Sagenwelt, die den Hof der Schallaburg schmücken.
Modelle jener zahlreichen Figuren aus Mythologie und Sagenwelt, die den Hof der Schallaburg schmücken.
Klaus Pichler

Die im großen Stil aufgekommene naturgetreue Porträtmalerei ist überhaupt als Visitenkarte des neu entdeckten Individualismus bis heute beispielhaft für die Renaissance. Nicht nur die Dargestellten gefielen sich plötzlich in all ihrer ungeschönten Pracht, auch die Künstler selbst gaben sich Identität und Charakter: Erstmals wurden Werke signiert, erstmals traten Künstler als Stars und Universalgelehrte auf. Wer hierzu mehr kunsthistorische Vertiefung möchte, ist übrigens bei der aktuell zeitgleich laufenden Ausstellung Holbein. Burgkmair. Dürer – Renaissance im Norden im Kunsthistorischen Museum gut aufgehoben, die breitere Auseinandersetzung mit dieser Zeit liefert aber die Schallaburg.

Lutherdeutsch und Alchemie

Bildung, so wird hier deutlich, wurde vor allem durch die Reformation und Luthers Werben für die Durchsetzung einer deutschen Schriftsprache zum Massenprogramm. Eine Druckerpresse und Flugblätter – das Propagandamittel Nummer eins der Zeit – sind ausgestellt. Deutlich macht die Ausstellung, wie scheinheilig die Akteure der katholischen Gegenreformation agierten, indem sie technische Neuerungen der Protestanten wie den Buchdruck aufgriffen und für ihre Zwecke perfektionierten: Ein Flugblatt gefolterter aufrührerischer Bauern sollte etwa abschrecken. Ein Stapel originaler, einst verbotener Bücher, die im Stift Göttweig in einer Kammer mit der Aufschrift "Libri Prohibiti" weggesperrt (immerhin nicht verbrannt) wurden, zeugt von der geheimen Faszination, die die Gegenreformer für das Neue und antike Alte hegten.

Der komplexe Paarlauf, den Aberglaube und Wissenschaft zu dieser Zeit noch bewerkstelligten, ist faszinierend: Aus Alchemie wurde Chemie, aus Astrologie Astronomie, alles schleichend und verschwimmend. Ausgestellt sind vermeintliche und tatsächliche Wundermittelchen, Naturskizzen, Reiseberichte. Und auch Spiele, wobei gewissermaßen nach dem Einstein-Ausspruch "Gott würfelt nicht" kategorisiert wurde: Glücksspiel schlecht, Geschick und Können gut. Gehalten hat sich aber schon damals niemand daran. Auch das macht uns die Renaissance sehr gegenwärtig. (Stefan Weiss, 14.4.2024)